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... „Das ist nicht weit von Ihrem Hotel.“ Die Frau sprach ein gut verständliches Deutsch. „Wenn Sie gegen Mittag in Orly landen ...bis Sie in der Stadt sind...im Hotel“, die Stimme der Frau verlor sich und es entstanden kleine Pause am anderen Ende der Leitung, dann ließ sie sich wieder vernehmen, „...also sagen wir gegen 16.00 Uhr im Cafe Napoleon in der Rue Garibaldi.“ Und wiederum nach einer Pause. „...Das ist leicht zu finden, ...fragen Sie zur Sicherheit den Portier. ...Ich freue mich Sie persönlich kennenzulernen ...und bin sehr gespannt von Ihnen selbst etwas zu Ihrem Projekt zu hören.“ Wanda lauschte noch eine Weile, doch es kam nichts mehr. In der Telefonmuschel erklang jetzt nur ein Rauschen. Plötzlich meldete sich noch einmal die im Stakkato intonierte Stimme der Frau. „Also bis dann...“ Jetzt brach das Gespräch ab, noch bevor Wanda etwas erwidern konnte. Die Teilnehmerin hatte aufgelegt.
Sie versprach sich viel von dem Treffen mit dem Ehepaar, internationale Aktivisten bei der Verfolgung von Verbrechen der 30er und 40er Jahre. Noch bevor sie mit dem Projekt befaßt war, hatte sie ihre Bücher gelesen. Seit Beginn der Arbeit an dem Film hatte sie wiederholt mit ihnen korrespondiert und telefoniert. Nur mit großen Schwierigkeiten war es zu einer Verabredung in Paris gekommen. Das Ehe- paar in mittleren Jahren, beide Nachfahren deutschfranzösischer Juden, die ihre Verwandten fast ausnahmslos in KZs verloren hatten, hatten sich zum Ziel gesetzt, die Erinnerung an Opfer und Täter wach zu halten. Durch spektakuläre Auftritte gewannen sie das Interesse der internationalen Presse, sammelten Opferberichte und reichten in allen europäischen Ländern Klagen ein. Einmal ohrfeigte die weibliche Ehehälfte einen deutschen Minister mit brauner Vergangenheit öffentlich. Ein anderes Mal zogen sie mit einer Sammelklage vor ein französisches Gericht. Der Beklagte war ein hoher französischer Verwaltungsbeamter, der unter dem Vichy- Regime an Judendeportationen mitgewirkt hatte. Der von ihnen gegründete internationale Verband der Opfer verfügte über ein weitverzweigtes Netz von Sympathisanten und Informanten. Geld für ihre Unternehmungen schien ihnen niemals zu fehlen. Mit Hilfe von Broschüren, Weißbüchern und Flugblättern, in denen sie genaue Umstände der einzelnen Vernichtungsaktionen und Zahlen der Opfer bis hin zu Namen von der Vernichtung entronnenen Opfern, aber auch solche der Täter dokumentierten, hatten sie sich mit den Jahren wirkungsvoll in das öffentliche Bewußtsein eingegraben. Es gab kaum ein westeuropäisches Land, in dem ihre Namen unbekannt geblieben waren. Wanda hatte von dem großen Ar- chiv gehört, welches das rührige Ehepaar in seiner Privatwohnung unterhielt.
Es hatte tätliche Angriffe auf ihre Wohung und ihre Person gegeben, Brandsätze waren am Haus des Rechtsanwaltes gezündet worden.
Als ihr Flugzeug landete , regnete es. Die Sicht bei dem Anflug auf die Stadt war schlecht. Neben dem Treffen mit dem Aktivistenehepaar beabsichtigte Wanda einige Kameraeinstellungen von dem ehemaligen Judendurchgangslager Drancy zu produzieren. Der Taxifahrer suchte beflissen ein Gespräch mit seinem blonden weiblichen Fahrgast in Gang zu bringen. Wanda sprach leidlich französisch und sah keinen Grund, den Mitteilungsdrang des Chauffeurs stoppen, dessen Französisch durch seine offensichtlich arabische Herkunft stark beeinträchtigt wurde. Der Mann klagte über die Teuerung des Lebens und über den allgemeinen Klimawechsel. „Sehen Sie sich um...“, klagte er und wies auf den strömenden Regen.
Sie bestand auf einer Quittung. Nur ein ordentliches Trinkgeld versöhnte ihn mit der Schreibarbeit und brachte ihn sogar dazu, den Koffer seines Gastes bis in den Empfangsraum des Hotels zu tragen. Das Zimmer war dunkel und schlecht gelüftet. Schwere Vorhänge hielten das wenige Licht von der engen Straße ab. Als sie das Fenster öffnete, drang ohrenbetäubender Lärm zu ihr herein. Erschrocken schloß sie es sofort wieder. Bei jeder Reise verwende sie wenig Sorgfalt für das Packen ihrer Koffer mit der Folge, daß sie sich jedes Mal beim Auspacken über die deformierten Kleider ärgerte.
Das Bad wurde von einer altertümlichen großen Badewanne fast ausgefüllt. Es roch dumpf. Unter der museumsreifen Dusche kämpfte sie einige Minuten, bis heißes Wasser kam. Allmählich kehrten ihre Lebensgeister zurück. Sie trocknete sich ab und schlüpfte in das schlecht gefederte Bett. Bei der Nennung des Namens hatte die Frau am Telefon heftig reagiert: „Mon Dieu, ...welch ein Satan in Menschengestalt.“ So hatte sie ihn genannt. Selbstverständlich stand er auf ihrer Liste ganz weit oben.
„Der Jagdhund von Eichmann... Im Gegensatz zu seinem Chef kein Schreibtischhengst,... immer vor Ort,... immer selbst Hand anlegend.“
Die Frau redete sich in Rage. Und dann nach einer Pause: „Er ist nicht tot.“ Und wieder nach einer Pause explodierend: „...Es gibt eine Menge Legenden über seinen Tod. ..Diese Verwechslungskomödie des Jahres 1946 vor der Volksgerichtshof in Wien.
...Dann Eichmann in Jerusalem, der behauptet, daß er 1945 Selbstmord begangen habe....alles Schutzbehauptungen... Sie wollen, daß wir glauben, alle sind tot.... Fini, das hätten sie gern.“ Trotz ihrer eruptiven Redeweise war Wanda überrascht, wie präsent ihr in den wenigen Gesprächen am Telefon die Frau war, von der sie vor einem halben Jahr noch nicht einmal den Namen gekannte hatte.
Wanda war für Minuten eingeschlafen und griff nach ihrer Armbanduhr auf dem Nachtschränkchen. Das fehlte noch, daß sie den Termin verschlief. Sie erhob sich und zog sich an.
Als sie die Straße betrat, empfing sie eine frische Luft. Der Regen hatte aufgehört. Sie studierte den Stadtplan. Der ältere Mann hinter dem Empfangstisch hatte ihr den Weg zu dem Treffpunkt gezeigt. Sein Atem roch nach Alkohol, als er sich zu ihr beugte. „Keine Viertelstunde“, hatte er ihr immer wieder versichert. Unzufrieden murrend hatte er dann die ihm von der Frau zugeschobenen kleinen Münzen eingesteckt. Sie sah auf die Uhr. Sie hatte genügend Zeit. Am Ende der kleinen Straße mündete diese in den großen Boulevard. Auf dem Trottoir standen große Pfützen. Von den Bäumen fielen Tropfen. Sie hielt sich dicht an den Schaufenstern, verweilte von Zeit zu Zeit, studierte die Preise, verglich diese mit den ihr bekannten Angeboten zu Hause und betrat schließlich ein kleines exquisites Modegeschäft. Die Verkäuferin, eine auffällig geschminkte ältere Schönheit, zeigte sich gegenüber ihren Wünschen langmütig und unerschütterlich. Wanda war in Kleiderfragen eigenwillig und schwer zufrieden zu stellen. Schließlich verließ sie mit einer sündhaft teueren Seidenbluse das Geschäft. Das Café, in dem sie sich verabredet hatten, hatte ein Stück seiner alten Pracht bewahrt und stach damit, übertrieben plüschig, von der neben ihm liegenden American Bar ab.
„Mein Mann und ich hassen diese kahlen und kalten Räume, so eine Art fast food-Cafe“, gestand ihr wenig später die Frau. Wanda hatte sich, nachdem sie sich versichert hatte, daß die Gesuchte noch nicht anwesend war, an einem kleinen Tisch gesetzt und eine Schokolade bestellt.
Mit den Worten „Sie sind gewiß die deutsche Journalistin, mit der ich hier verabredet bin“, war die kräftige Frau wenig später an ihren Tisch getreten. Sie war für eine Angehörige der oberen Mittelschicht ein wenig nachlässig gekleidet. Ihre Deutsch war vorzüglich. „Entschuldigen, ich bin ein wenig spät, doch Serge, mein Mann, hatte noch einen Klienten in seinem Büro, den er mir unbedingt vorstellen wollte.“
Die Frau bestellte einen Wein und zündete sich eine Zigarette an. Die hastige Sprechweise paßte so gar nicht zu ihrer äußeren robusten Erscheinung. „Ich hoffe Sie sind gut gereist. Haben sie ein gutes Hotel gefunden?... Im Augenblick sind die Pariser in den Ferien und die Stadt voller Touristen.... Kennen Sie Paris?“ Wanda war bisher nur wenige Male in der Metropole gewesen. Die Frau bestellte nach wenigen Minuten ein zweites Glas Wein. Sie war offensichtlich Kettenraucherin, denn sie steckte sich die neue Zigarette an der brennenden alten an. Nur kurz hatte sie Wanda die Schachtel mit den besonders starken Zigaretten hingehalten. „Nein, danke, ich rauche nicht.“ „Erzählen Sie mir zuerst ein wenig von ihrem Projekt.“ Sie hörte Wanda aufmerksam zu. Hin und wieder trank sie aus ihrem Glas, unterbrach aber die Erzählerin nicht. Von Zeit zu Zeit zündete sie sich eine neue Zigarette an und als sie Wandas erstaunten Blick bemerkte führe sie entschuldigend hinzu „ Ja ich rauche leider zu viel. Sie bestellte ein drittes Glas Wein. Mit den mehrere Male wiederholten Worten „das klingt alles sehr interessant“ unterbrach sie von Zeit zu Zeit Wandas Bericht. „Natürlich ist es wichtig, daß eine solche Initiative von Deutschland ausgeht. Sie drückte die Zigarette aus und trank aus dem Glas. „Wir sind über die Entwicklungen in Deutschland gut informiert ... manchmal hat man den Eindruck, daß bei Ihnen zu wenig Menschen resistent sind gegen die alten Parolen.“ Sie sah auf die Uhr und winkte dem Kellner. „Wie lange haben Sie für ihren Besuch in Paris vorgesehen?.... Sie müssen natürlich nach Drancy...von dort gingen die Transporte...erst ihr Alois B. hat das perfekt organisiert.... Nein, viel gibt es da nicht mehr zu sehen, ein Supermarkt...“
Je länger Wanda mit dieser Frau zusammensaß, um so deutlicher übertrug sich deren innere Nervosität, die so deutlich im Kontrast zu ihrer burschukosen Art stand, auf sie. Was ihr am Telefon und in den ersten Augenblick ihres Zusammenseins als geballte Dynamik und Energie erschienen war, wurde von Minute zu Minute zu einer physisch bedrückende Unruhe. „Mein Mann fliegt morgen zu einem Vortrag nach New York, er würde Sie aber gern kennenlernen. ..Ich nehme Sie einfach mit. ...Wir überfallen ihn in seinem Büro ... ich versichere Ihnen,... er wird sich freuen.“ Unvermittelt hatte die Frau diesen Vorschlag hervorgesprudelt. „Einverstanden!“ Wanda nahm die Gelegenheit beim Schopf. Weiß Gott, wann sie das Ehepaar wieder einmal zusammen treffen würde.
Sie bezahlten und verließen das Café.„Es sind nur einige Minuten von hier zu Fuß.“ Ihre Führerin schritt kräftig aus, sodaß Wanda Mühe hatte Schritt zu halten. In Bewegung verwandelte sich die Nervosität der Frau wieder in sympathische Energie. Nachdem sie ein paar Mal die Straße gewechselt hatten, hielt schließlich die Frau vor einem großen alten Haus ...


"Jagd auf Alois B."
Kriminalroman
von Derek Falk

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ROSEWOOD |

 

Leseproben:

• Dr. D.K. Gessner • KRIMI UNTERHALTUNG • Leben und Schreiben in Zeiten des Kalten Krieges • 14532 Kleinmachnow, Tel.: 033203/56553,