______________________________________

Jetzt enttäuschte er sie nicht. Er hatte so etwas erwartet. Noch immer war er unschlüssig, ob er sich auf diese Sache einlassen sollte. Doch die von ihr ausgehende Energie war nicht ohne Wirkung auf ihn geblieben. Bedeutete die Übernahme des Auftrags nicht auch eine Möglichkeit, von den Büchern, von demgeschwätzigen Nachbarn, dem Hund und dem Garten...von all demweg wieder ins gewohnte Geschäft zu kommen?
Auf dem Weg zum Café hatte er sich überlegt, welches Honorar er verlangen sollte. Was war er wert? Er war in solchen Dingen ungeübt. Früher hatte der Preis für seine Dienste keine Rolle gespielt. In seinem Kopf war eine Summe entstanden, deren Höhe abschreckend wirken sollte. Nach einem Blick auf ihre teuren Klamotten hatte er seine ursprüngliche, nach seinen Begriffen bereits exorbitante Forderung noch einmal erhöht. Er nannte die Summe.
"Als Tageshonorar. Spesen extra. Ich werde reisen müssen." Bäumer behielt sein Gegenüber scharf im Auge. "Bei Ablieferung des Ergebnisses ist ein Erfolgshonorar fällig", setzte er eins drauf.
Er nannte noch einmal eine Summe.
"Einverstanden! Wann können Sie beginnen?" Die Frau hatte keinen Augenblick gezögert. "Sie verlieren keine Zeit, warum?"
Sie schwieg. Doch ihr Blick blieb dieses Mal bei ihm. "Es soll ein Ende haben."
"Sind Sie im Besitz irgendwelcher offizieller Papiere", erkundigte er sich jetzt bereits ganz geschäftsmäßig, "die Auskunft über Ihren Großvater geben?"
Sie schüttelte den Kopf. "Alles, was vorhanden war, Privates und nicht Privates, ist 1945 von den Russen konfisziert worden und verschwunden. Meiner Mutter wurde erst 1990 das Todesdatum, der 4. Mai 1947, mitgeteilt." "Das Schreiben aus Moskau...?" Sie entnahm ihrer Handtasche ein Kuvert und reichte es ihm über den Tisch. "Ich habe eine Übersetzung anfertigen lassen."
"Das ist nicht nötig", brummte Bäumer, während er las. Das Schreiben stammte von einem Moskauer Militärstaatsanwalt. Es enthielt die Feststellung eines Sterbedatums, ohne irgendwelche Hinweise auf die Todesumstände. "Gestorben im Gefängnislazarett von Butyrka", las er laut. "Sonst haben Sie nichts?" erkundigte er sich.
Die Frau schüttelte den Kopf. Jetzt, nach der Lektüre der in dürren Worten abgefaßten Todeserklärung, hatte er das Gefühl, bereits zu tief in die Welt dieser Frau eingedrungen zu sein, als daß er den Auftrag hätte ablehnen können. Und sein beruflicher Ehrgeiz war endgültig erwacht. Nicolai paßte in das alte Freund-Feind-Schema. Der Alte war nicht irgendein kleiner Nazi. "Also gut!", hörte er sich sagen, "ich übernehme den Auftrag." Täuschte er sich, oder huschte zum ersten Mal so etwas wie ein Lächeln über das herbe Gesicht der Frau? "Ich stelle Ihnen einen Scheck aus," ließ sich ihre Stimme vernehmen, "der Ihre ersten Tageshonorare und anfallende Spesen abdeckt."
Wieder griff sie in die Tasche. Dieses Mal zückte sie ein Scheckbuch. Mit energischen Zügen setzte sie eine ansehnliche Summe ein, riß dann mit einer kurzen energischen Bewegung das Papier aus dem Heft und reichte es ihm.
Später bei ihren letzten Treffen sollte sich dieser Vorgang mit der gleichen Präzision wiederholen.
"Sie ist gewohnt mit Geld umzugehen", dachte er. Laut sagte er: "Ihnen liegt viel an der Sache?" "Er wurde nicht nur als Märtyrer verehrt. Er lebte auch wie ein Dämon mitten in unserer Familie. Meine Mutter hat bis zu ihrem Tode darunter gelitten", gestand sie offen.
"Klären Sie endlich die Geschichte auf, damit das alles ein Ende hat!" Da war plötzlich ein bitterer Ton in ihrer Stimme. Sie gab ihm eine Adresse in Düsseldorf. "Sie können mich jederzeit anrufen. Das Schreiben können Sie behalten." Energisch stellte sie ihre teuere Handtasche auf den Tisch.
"Es trifft wahrlich keine Arme", dachte er, als er den Scheck in seine Brieftasche verstaute.
"Sollten Sie noch Fragen haben, können Sie mich bis morgen im Hotel "Zum Thüringer Hof" erreichen." Eine gewisse Unruhe schien sie bei den letzten Worten zu erfassen. "Ich habe noch einen Termin." Sie machte Anstalten sich zu erheben. Stehend winkte sie der Bedienung und beglich die Rechnung.
Auch Bäumer erhob sich, half ihr in den Mantel und begleitete sie zum Ausgang. Vor dem Eingang gab sie ihm die Hand. "Ich danke Ihnen", stieß sie schroff hervor, drehte sich um und verschwand im Marktgetriebe.
Bäumer kehrte in das Café zurück. An der gläsernen Theke mit der blinkenden Espressomaschine bestellte er trotz der frühen Stunde einen Cognac. Er entnahm seiner Brieftasche den Scheck. Er musterte die energische Unterschrift, doch sie war unleserlich. Sein erstes privates Honorar. War es Zufall oder Absicht, daß er noch immer nicht ihren Namen erfahren hatte? Am Telefon meldete sie sich nie mit dem Namen. Nun, sie war die Enkelin des Mannes, über dessen Schicksal er Recherchen anstellen sollte, das genügte erst einmal. Kein gesellschaftlicher Auftrag. Er war jetzt Detektiv. Er lächelte. Eine, seine neue Rolle. Gut! Es sollte so sein. Auf dem Barhocker sitzend überließ sich seinen Gedanken. Er mußte als erstes mit Rübsam sprechen. Von ihm würde er etwas über die Familienverhältnisse seiner Auftraggeberin erfahren. Er erinnerte sich, daß der Archivar ihm bei den Nachforschungen über seinen Erblasser gute Dienste erwiesen hatte. Nicolais Anwesenheit in N. mußte Spuren hinterlassen haben. Und dann würde er ausprobieren, wie gut seine alten Verbindungen noch funktionierten. Und zwar in alle Richtungen. Er würde einige Reisen machen. Das hatte man ihm nicht untersagt. Er atmete tief durch und fühlte sich plötzlich beschwingt.
Diese Geschichte würde ein wenig Abwechslung in die Gleichförmigkeit der vergangenen Monate bringen. Wie ein alter Jagdhund genügte die Witterung eines Wildes, um den Reflex des Verfolgers auszulösen. Er trank aus und bezahlte, scherzte gut gelaunt noch ein wenig mit der jungen, zu stark geschminkten Bedienung, verließ die Gaststätte und schlenderte über den Markt. ..



"Matahari kann nicht sterben"
Eine historische Collage
Von Hery Hromada

weitere Bücher des Autors:

Leseproben:

• Dr. D.K. Gessner • KRIMI UNTERHALTUNG • Leben und Schreiben in Zeiten des Kalten Krieges • 14532 Kleinmachnow, Tel.: 033203/56553,