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Der mißtrauische Blick der Frau verfolgte ihn, bis er die Tür hinter sich wieder geschlossen hatte. Nach der langen Fahrt gegen den frischen Wind hatte der Aufenthalt in der Wärme des Gewächshauses gut getan. Als er ins Freie trat, entriß ein Windstoß Schlögel die Tür und warf sie scheppernd ins Schloß. Er schlug die Richtung zum Wohnhaus ein. Nach wenigen Schritten sah er den Lastwagen. Ein Blick auf die Zulassung zeigte ihm, daß er aus dem Osten kam. Neugierig trat er zu dem abgestellten Wagen und äugte in das Führerhaus. Zusammengekauert in eine grobe Decke gehüllt schlief im Innern ein Mann. „Er ist die ganze Nacht gefahren“, meldete sich eine Stimme. „Wir lassen ihn besser schlafen“. Ohne sich umzudrehen erkannte Schlögel die Stimme des Zwerges aus dem Tiergarten. Im nächsten Augenblick stand Katzenberger freundlich lachend neben ihm. „Wir sind die ganze Nacht durchgefahren“, erklärte er noch einmal. Er strekke Schlögel seine kleine Hand mit den wulstigen Fingern ent- gegen. „Also hat Sie mein Gruß erreicht? Lassen Sie uns“ der Kleine deutet auf die hinter der Gartenhecke liegenden Felder, an deren Ende sich ein Waldstück anschloß, „lassen Sie uns ein paar Schritte gehen. Es ist ein zu friedlicher Frühlingstag, finden sie nicht?“ Aufmunternd sah er Schlögel von der Seite an und ging dann voraus. Sie verließen die Gärtnerei. „Es freut mich, Sie wohlbehalten zu sehen“, begann der Kleine die Unterhaltung. „Ich schließe daraus, daß Ihnen unsere Hilfe genutzt hat“. Ohne auf Schlögels Antwort zu warten, fuhr er fort. „Leider konnten wir ja nur wenigen helfen“. Er unterbrach sich und führte seine rechte Hand an den Kopf als wolle er sich an Vergangenes erinnern. Dann schüttelte er energisch den Kopf. „Aber lassen wir die alten Zeiten! Darf ich davon ausgehen, daß es Ihnen gut geht? Daß Sie inzwischen wieder Fuß gefaßt haben“, er lachte mekkernd „im bürgerlichen Leben?“ Der Kleine sah auf seinen Begleiter. Der nickte. „Das freut mich“, kommentierte Katzen- berger Schlögels Zustimmung. „Sie haben sich nicht gemeldet. Na, dafür haben Sie sicher Gründe“. War das ein Vorwurf? Schlögel war auf alles gefaßt. Aber er war innerlich nicht so ruhig, wie er es sich wünschte. Die Lage war durch die Tatsache, daß sich Katzenberger aus dem Osten gemeldet hatte, unnötig kompliziert. „Wie steht es denn beruflich, wenn die Frage erlaubt ist?“, quakte der Mann an seiner Seite unbekümmert weiter. In Schlögel fühlte sich unbehaglich. Natürlich mußte er davon ausgehen, daß Katzenberger sehr wohl auch über sein Zögern, wieder in seinen alten Beruf zurückzukehren, informiert war. Wußte auch, daß er bisher nichts unternommen hatte, um Kontakte zu früheren Dienststellen aufzunehmen. Er schwieg verstimmt. „Nun, wie es auch sei. Es war mir ein Bedürfnis, Sie selbst aufzusuchen“. Der Kleine verschränkte die Hände auf den Rücken und suchte den Spurrillen auf dem Weg auszuweichen. Er trug elegante Vorkriegsschuhe. „Nicht das rechte Schuhzeug“, lachte er, als er Schlögels Blick bemerkte. „Schließlich fühlt man ja eine Verantwortung nach all dem wieder etwas aufzubauen“. Das Unbehagen verstärkte sich. Wenn Schlögel gefragt worden wäre, was sein undurchsichtiger Begleiter mit dieser letzten Bemerkung meinte, hätte er passen müssen. Das war Politik. Katzenberger war inzwischen stehen geblieben und verfolgte mit den Augen, wie eine Lerche laut zwitschernd in den Himmel stieg. „ Nur die Natur bleibt ewig die gleiche, fast unanständig nach all dem, finden Sie nicht?“ Er nahm seinen Weg wieder auf. „Wenn privat alles zum Besten ist, ist es dann erlaubt, nach Ihren beruflichen Plänen zu fragen?“ Ein kurzer Blick Katzenbergers traf seinen Begleiter. Auf diese Frage vorbereitet, zuckte dieser mit den Schultern. „Hat man Ihnen noch keine Angebote gemacht, wieder in Ihrem alten Beruf zu arbeiten?“, erkundigte sich der andere. „Ein Mann mit Ihren Erfahrungen. Tja, ich weiß, der dumme Prozeß. Unnötig! Ge- ben Sie nicht allzuviel darauf!“ Er ist gut informiert, dachte Schlögel, schwieg aber. Katzenberger war kurz stehengeblieben und drehte sich nach dem jetzt hinter ihm gehenden Schlögel um, setzte sich dann aber wieder in Bewegung. „Und natürlich auch ärgerlich für Sie, versteht sich“. „Ich kann damit leben“, erwiderte Schlögel trotzig. Wenn Ihr da nicht dran gedreht habt, fügte er für sich hinzu. Er dachte an das Auftauchen von Hähnrich. Eine Weile schritten sie schweigend nebeneinander her. Katzenberger ließ nicht locker. Noch einmal kam er auf seine Frage von vorhin zurück. „Denken Sie überhaupt daran, wieder in Ihrem alten Beruf zu arbeiten?“ Bei diesen Worten fixierte der kleine Mann angestrengt den Horizont. „Man benötigt dringend erfahrene Polizisten. Sie sind Experte“. Katzenberger hatte seine Beobachtungen der Weite beendet und drehte sich zu Schlögel. Gleich wird er mir ein Angebot machen, dachte Schlögel. Und so kam es. „Kommen Sie zu uns!“ Katzenberger sah gerade aus. „Ihr Arbeitsplatz läge in diesem Falle in dem anderen Teil Deutschland, in der Ostzone, wie man sie hier nennt“. Wieder ertönte das mekkernde Lachen. Er schritt wieder aus und setzte geschickt über eine größere mit Wasser gefüllte Spurrille. „Sie müßten Ihren Wohnsitz nach drüben verlegen. Zugegeben, eine Unbequemlichkeit für Sie und Ihre Familie. Doch bei der Beschaffung von Wohnraum würden wir Ihnen natürlich helfen. Wir müßten Ihnen ja schon etwas Vergleichbares bieten, selbstverständlich“. Schlögel hatte sich auf der Fahrt vorzustellen versucht, wie Katzenberger es anfangen würde, ihm einen solchen Vorschlag zu machen. Nun war es heraus, auf die plumpste und einfachste Weise. „Lassen Sie sich mit Ihrer Antwort ruhig Zeit! Auch wenn unsere heutige Zeit schnellebig ist. Solche Dinge bricht man nicht übers Knie und ...“. Der Kleine vollendete den angefangenen Satz nicht. „Es lag mir daran, mit Ihnen selbst über diese Dinge zu reden. Nicht zuletzt aus Kenntnis unserer gemeinsamen Vergangenheit“. Jetzt war in der Rede des Kleinen die Mischung von Schmeicheln und Drohen nicht mehr zu überhören. Sie hatten den Wald erreicht und Katzenberger sah auf seine teuere Armbanduhr. Er gehört zu den Leuten, die einem nie zuviel Zeit lassen, dachte Schlögel. Auf dem Rückweg sprachen sie über sehr allgemeine Dinge, über die Entwicklung der Weltlage, die große Politik. Es war, als ob für beide Männer jede weitere Erörterung der eingeforderten Entscheidung erst einmal vertagt wäre. Wieder in der Gärtnerei angekommen, näherten sie sich dem Lastwagen. Der Fahrer stand jetzt rauchend am Führerhaus. Unterlag Schlögel einer Täuschung? Der Fahrer erinnerte ihn an den Chauffeur Katzenbergers, ihren stummen Begleiter bei dem Ausflug in den Tiergarten. Beim Näherkommen wurde Schlögel immer unsicherer. Der Mann zeigte keine Reaktion und grüßte kurz. Der Kleine blieb vor dem LKW stehen ...
• Dr. D.K. Gessner • KRIMI UNTERHALTUNG • Leben und Schreiben in Zeiten des Kalten Krieges • 14532 Kleinmachnow, Tel.: 033203/56553,