______________________________________

'Seine Erwartung für das Wiedersehen mit der Stadt wurde enttäuscht. Er bemerkte, daß der Fahrer die Stadt im Norden umging. Nach schneller Durchfahrt einiger Vorortstraßen bog der über die Route offensichtlich fest instruierte Fahrer in die Schloßallee ein. Paulus kannte den bescheiden aber wohlproportionierten Bau aus seinen Berliner Jahren. Die unteren Repräsentations- Räume waren vor dem Krieg für Konzerte benutzt worden, die er seiner Frau zuliebe häufig besucht hatte. Ihr Wagen näherte sich den Wachposten am Eingang des Parks. Der Fahrer übergab der Offizierswache den Passierschein. Beim Wiederanfahren grüßte der Wachhabende zackig. Ein mit Kies bestreuter Weg führte sie bis zur Gebäudeauffahrt. Der Wagen hatte kaum gehalten, als ihn wiederum Uniformierte umringten. Einer von ihnen öffnete die Wagentür. Noch bevor er den ihm genannten Namen erfragen konnte, stand der zivile Brillenträger neben ihm. „Michalek“, stellte er sich vor und verbeugte sich übertrieben. „Der Präsident erwartet Sie. Ich werde Sie führen“. Die Stimme klang im Gegensatz zu seinem Äußeren jugendlich frisch. Ihr Besitzer entfernte sich in Richtung der weit geöffneten Eingangstür. Paulus blieb nicht anderes übrig als ihm zu folgen. Im Foyer standen einige Uniformierte. Beflissen half der Führer dem Marschall aus dem Mantel. Im Saal blendete Paulus das taghelle Licht, welches sich von den schweren Lüstern über den Raum verbreitete. Von den in Gruppen stehenden Menschen stieg ein gleichförmiges Summen und Gemurmel auf. Michalek entfernte sich und tauchte in der Menge unter. Nach einiger Zeit erschien er wieder und gab Paulus ein Zeichen. Plötzlich öffnete sich eine der Menschentrauben und Paulus erblickte den Präsidenten. Er hatte ihn in Rußland das letzte Mal gesehen. Der Funktionär war dort auf ihren häufigen Treffen der Wortführer der aus Moskau angereisten Zivilisten gewesen, ein lebhafter, stets gutgelaunter Gesprächspartner, der mit unerschütterlicher Hartnäckigkeit für die Sache des Offizierskomitees geworben hatte. Damals bereits von kräftiger Statur, war er nun dick geworden. Michalek stand neben dem Präsidenten und sprach leise mit diesem. Der Blick des Staatsoberhauptes fiel auf Paulus. Er sagte etwas zu den Umstehenden und begab sich, - seinen Gast nicht aus den Augen lassend - gemessenen Schrittes, den ihm von den Umstehenden freigemachten Gang nutzend, zu Paulus. Bereits bei ihrer ersten Begegnung in Rußland hatte sich der bieder dreinschauende, politisch aber gewiefte Funktionär um die gefangenen Offiziere bemüht. Der Präsident hatte Paulus erreicht und steckte seine beiden Hände nach ihm aus. „Es freut mich sehr, Sie gesund wieder in Deutschland zu sehen“. Er hatte beide Hände, feste zupackende Hände, auf die ihm von Paulus überlassene Hand gelegt. Die ganze Zeit, während er mit ihm über die Anreise und das vorgesehene Quartier für die Nacht sprach, ließ er dessen Hand nicht wieder los. „Es wird spät werden, und Sie können morgen in aller Ruhe die Rückreise antreten“. Die Stimme klang fürsorglich, während seine Augen den Sekretär suchten: „Das ist doch alles geregelt?“ Der Angesprochene nickte lebhaft. „Na, dann stoßen wir an! “ Er hatte eigenhändig zwei Gläser von dem Tablett eines herbeigeeilten Bediensteten genommen und reichte eines davon seinem Gast. „Auf unser Wiedersehen, auf Deutschland!“ Seine Stimme war lauter geworden, so daß die Umstehenden verstummten und sich dem vom Präsidenten ausgebrachten Toast anschlossen. Das Glas in der Hand trat der Präsident näher an seinen Gast und setzte die Unterhaltung mit leiser Stimme, den Oberkörper verschwörerisch gegen Paulus neigend, fort: „Ich lasse Sie nicht wieder fort, ohne einige Worte unter vier Augen mit ihnen gesprochen zu haben. Ich muß Ihnen einen Vorschlag machen“. Eine verschwörerische Miene glänzte auf dem fröhlich/gutgelaunten Gesicht. In diesem Augenblick hatte ein neuer, wegen der Zahl seiner Begleiter offensichtlich bedeutender ausländischer Gast den Saal betreten. Sofort setzte sich der Präsident in Bewegung. Michalek, Sekretär und Protokoll- chef in einem, dirigierte Paulus zu einer Gruppe jüngerer Offiziere. Die blau und olivgrünen Uniformen bildeten die deutliche Mehrheit der Gäste. Vergeblich suchte Paulus Vinzenz´ hochaufgeschossene Gestalt. Er konnte ihn nicht entdecken. Dabei war er sicher gewesen, ihn hier zu treffen. Seinen Begleiter zu fragen scheute er sich. Eine junge, auffällig modisch gekleidete Frau, wie sich wenig später herausstellte eine Dolmetscherin, näherte sich ihm und überbrachte die Bitte einer Gruppe russischer Offiziere, in ihren Kreis zu kommen. Obwohl er seit seiner Gefangenschaft seine Russischkenntnisse ständig erweitert hatte, beruhigte ihn die Anwesenheit der jungen Frau. Ein mühevolles Gespräch kam in Gang, welches sich vor allem auf Fragen der Wiederbewaffnung des anderen deutschen Staates bezog. Aus dieser sich zäh hinziehenden Unterhaltung erlöste ihn wiederum der Sekretär des Präsidenten. Er eröffnete Paulus, daß der Präsident ihn nun vertraulich zu sprechen wünsche. Ohne sich nach Paulus umzudrehen, steuerte er dem Ausgang zu. Dem Marschall blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Im Foyer wartete bereits ein Uniformierter mit seinem Mantel und half ihn steif hinein. Mit der Hand deutete Michalek auf eine dem nun geschlossenen Haupteingang gegenüberliegende Gartenpforte. Als Paulus in die Dunkelheit trat, war er blind. Dann entdeckte er einen Schatten. Es war der Gastgeber. Er hatte sich seinen Mantel um die kräftigen Schultern gelegt. „Ja, der Mantel ist notwendig. Es ist frisch“, empfing er den Heraustretenden. „Machen wir einige Schritte durch den Park!“, schlug er lächelnd vor. Wenige Sekunden später lösten sich zwei drahtige Zivilisten aus dem Hausschatten und folgten den beiden Männern im Abstand von fünf oder sechs Metern . Ohne sich um diese Begleiter zu kümmern, begann der Präsident von ihrer gemeinsamen Moskauer Zeit zu plaudern. Dann kam er auf sein Anliegen zu sprechen. „Ich habe Sie eingeladen, um mit Ihnen über einige Dinge zu sprechen, von denen ich hoffe, daß Sie Ihnen so wichtig sind wie mir“, begann er und zog den ihm von der Schulter gerutschten Mantel wieder nach oben. „Wie sie bei ihrer Rückkehr nach Deutschland festgestellt haben, ist die Zeit nicht stehen geblieben. Wir bauen einen neuen deutschen Staat auf und benötigen dafür mutige Menschen, die mit frischem Geist versehen sind. Es fehlt uns nicht an Entschlossenheit, aber ...lassen Sie mich offen sein, an Erfahrung“. Bei den letzten Worten hatte er gezögert und seine Schritte verlangsamt. Schließlich blieb er ganz stehen. „Ich möchte offen mit Ihnen reden. Uns fehlt auf dem Gebiet des Militärischen das, erlauben Sie ein Wort als alten Handwerksgesellen, das Meisterliche“. Sein Gesicht hatte für einen Moment einen listigen, für Paulus wegen der Dunkelheit aber nicht wahrnehmbaren Ausdruck angenommen. „Ja, wir Kommunisten haben viel Respekt vor dem Können“, fügte er hinzu. Immer noch konnte der Marschall nicht in dem Gesicht seines Gesprächspartners lesen „Die veränderte weltpolitische Lage, die starre Haltung der Siegermächte ...die große Politik zwingt uns, Entscheidungen zu treffen“. Und dann sprach er von den Plänen seiner Regierung, eine Freiwilligenarmee aufzustellen. „Nein, keine Berufsarmee“, der Präsident schüttelte den Kopf, als wollte er Einwänden zuvorkommen. „Ich kenne natürliche Ihre Meinung über die Wiederbewaffnung Westdeutschlands und teile sie. Nein. Wir denken an einen freiwilligen Dienst mit der Waffe für eine begrenzte Zahl junger Menschen unter erfahrener Führung. Unser Staat kann sich nicht allein auf den Schutz auswärtiger Mächte verlassen“. Erneut unterbrach Paulus ´ Gastgeber seine Rede und blieb stehen, wie um die Wirkung seiner Worte zu prüfen. Als er weiterging, huschten auf dem Weg niedrige Schatten. „Ratten!“, stellte der Präsident sachlich fest, ohne seine Schritte zu verlangsamen. „Wir brauchen alle Gutwilligen“, fuhr er wieder fort. Dann blieb er erneut nach wenigen Schritten stehen, um sich nach dem hinter ihm zurückgebliebenen, ihn um mehrere Hauptlängen überragenden Marschall umzusehen. Während der kleine Mann auf seinen Begleiter wartete, redete er weiter: „Wir brauchen Männer wie Sie, um diese schwierigen Probleme der Friedenssicherung zu lösen“. Der Sprechende verschränkte seine Hände hinter seinem Rücken und neigte seinen Kopf mit den dichten weißen Haaren. „Sie bekommen freie Hand bei der Auswahl ihrer Mitarbeiter. Jeder, der sich auf den Boden unseres Staates stellt, kann mit uns zusammenarbeiten. Stellen Sie eine Liste der Männer zusammen, die Sie brauchen!“ Nun war es heraus. Paulus hatte auf der ganzen Fahrt nach Pankow sich immer wieder die Frage gestellt, was er auf ein solches Angebot antworten sollte. Warum aber war Vinzenz nicht unter den Gästen des Präsidenten? Hatte das etwas zu bedeuten? Er kam doch aufgrund seiner Einstellung in aller erster Linie für eine solche Aufgabe in Frage. „Ich möchte im Augenblick von Ihnen keine Entscheidung“, meldete sich sein Begleiter, der sich wieder in Gang gesetzt hatte. „Aber ich wollte Ihnen dieses Angebot selbst machen. Mich interessiert auch Ihre Meinung über alle damit zusammenhängenden Fragen. Schreiben Sie mir! Oder kommen Sie zu mir nach Berlin!“ Der Präsident war wieder stehengeblieben und wartete geduldig auf seinen Gast. Im gleichen Abstand hielten ihre Begleiter. „Sehen Sie , wir haben einen Bedarf an geeigneten Experten zur Lösung dieser für alle Friedensfreunde nicht einfachen Aufgabe. Nehmen Sie mich“, das kurze Lachen klang dieses Mal nicht echt. „Ich trage die Verantwortung für den Aufbau militärischer Kräfte zur Sicherung des Friedens in Mitteleuropa. Ich war im ersten Krieg Arbeitssoldat, weil ich gerade eine Tuberkulose ausgeheilt hatte und als politisch unzuverlässig galt“. Er lachte noch einmal und wechselte wieder zu dem vertraulichen Ton. „Wir haben nicht viel Zeit und dürfen keine Fehler machen. Der Kreis der Vertrauenswürdigen ist klein, aber wem sage ich das “...


"Paulus in Dresden"
Eine historische Collage
Von Hery Hromada

weitere Bücher des Autors:

Leseproben:

• Dr. D.K. Gessner • KRIMI UNTERHALTUNG • Leben und Schreiben in Zeiten des Kalten Krieges • 14532 Kleinmachnow, Tel.: 033203/56553,